Übergänge
Juli 2019
Schuleintritt, Lehrbeginn, erste Arbeitsstelle, Familiengründung, berufliche Neuorientierung, Pensionierung: Lebensübergänge sind eine Chance, können aber auch eine grosse Herausforderung sein. Die Artikel in dieser Ausgabe zeigen an verschiedenen Beispielen und Lebensbereichen, wie Präventions- und Beratungsmassnahmen zum Gelingen von Übergängen beitragen.
- Biografische Übergänge: Herausforderungen und Chancen
- Von der Schule in die Arbeitswelt
- Paare im Übergang zur Elternschaft
- Selbstbestimmt und gesund älter werden
- Wieder mal nach draussen
Von der Schule in die Arbeitswelt
Im Übergang von der Schule in die berufliche Grundbildung sind Jugendliche mit grossen Veränderungen und neuen Erwartungen konfrontiert. Damit sie diesen Übergang erfolgreich meistern, brauchen sie Anerkennungs- und Wirksamkeitserfahrungen.
Text: Corinne Joho
Spätestens während der zweiten Oberstufenklasse werden Jugendliche mit der Frage nach der persönlichen Bildungs- und Berufswahl konfrontiert. Im Rahmen der schulisch organisierten «Beruflichen Orientierung» ermitteln sie ihre Interessen und setzen sich mit ihren Stärken und Schwächen auseinander. Sie treffen ihre erste eigenständige bildungsbiografische Entscheidung und versuchen diese dann zu realisieren.
Entscheidungszeit
Die Auseinandersetzung mit der Berufswahl und das Absolvieren einer Ausbildung sind zentrale Erwartungen, die unsere Gesellschaft an Jugendliche richtet. Doch der Zeitpunkt, an dem von Jugendlichen erwartet wird, dass sie eine berufliche Entscheidung fällen, unterscheidet sich je nach Ausbildungsweg. Während die Berufswahl und Lehrstellensuche um das 15. Lebensjahr erfolgen, muss die Entscheidung für eine Studienrichtung erst um das 18. Lebensjahr gefällt werden. Jugendlichen in allgemeinbildenden Ausbildungsgängen wird demnach eine längere Phase zugestanden, in der sie sich selbst kennenlernen und ihre Möglichkeiten erkunden können. Der vergleichsweise frühe Entscheidungszeitpunkt bei Lernenden, die ins Berufsbildungssystem übertreten, lässt vermuten, dass Abbrüche und Wechsel hier häufiger vorkommen als bei Studierenden.
Abbrüche und Wechsel
Derzeit werden 21 % der Lehrverträge aufgelöst, wobei sich die Zahlen nach Branche stark unterscheiden (vgl. Grafik). Die überwiegende Mehrheit der betroffenen Jugendlichen steigt jedoch zeitnah wieder in eine berufliche Grundbildung ein. Hinter einem vermeintlichen Abbruch der Ausbildung verbirgt sich also in aller Regel ein Wechsel des Betriebs oder des Lehrberufs. Im Vergleich dazu sind es gemäss Bildungsbericht 2018 bei jungen Erwachsenen in universitären Bildungsgängen 25%, die ihr Studienfach wechseln oder ihr Studium ganz aufgeben. Überraschenderweise liegt die Anzahl der Studienfachwechsel und -abbrüche an den Universitäten damit etwas höher als die Anzahl der Lehrvertragsauflösungen.
Wie sich diese hohe Dynamik erklären lässt, ist noch weitgehend unklar. Es ist aber naheliegend, dass Jugendliche in einer Gesellschaft aufwachsen, die ihnen viele Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten in ganz unterschiedlichen Bereichen bietet. So sind sie sich gewohnt, dass zahlreiche Optionen verfügbar sind, und sie jene wählen können, die im Moment am besten zu ihnen passt. Dazu gehört offenbar auch, dass Jugendliche über den Mut und die Zuversicht verfügen, getroffene Berufs- und Bildungsentscheidungen wieder rückgängig zu machen.
Erfahrungen prägen
Jugendliche im Übergang können einerseits Entscheidungen treffen und erfahren andererseits durch die Rückmeldungen, welchen Wert sie aus Sicht des Betriebs für den Arbeitsmarkt haben. Die Jugendlichen machen tiefgreifende neue Erfahrungen, die sie individuell unterschiedlich wahrnehmen und bewerten und die ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig beeinflussen. Der Übergang von der Schule zum Beruf setzt also auch einen innerpsychischen Veränderungsprozess in Gang, der sich je nach Feedback günstig oder weniger günstig auf die Umgestaltung und die Verortung des jugendlichen Selbst auswirken kann.
Gefährdungsfaktoren
Im Übergang müssen Jugendliche die vertrauten Strukturen, Abläufe, Rollen und Bezugspersonen aus der Schule hinter sich lassen und neuen betrieblichen Leistungs- und Verhaltenserwartungen gerecht werden. Dabei sind insbesondere jene Jugendlichen, die wenig entwickelte Sozial- und Selbstkompetenzen mitbringen und in der Schule viele (unentschuldigte) Absenzen haben, gefährdet, den Einstieg in eine berufliche Grundbildung nicht zu schaffen. Gewisse Verhaltensweisen, die im schulischen Kontext dank pädagogischen Fachpersonen und vertrauten Strukturen aufgefangen und in zielführendere Bahnen gelenkt werden konnten, erschweren den Übergang ins Berufsbildungssystem. Insbesondere dann, wenn sich die in der Familie gemachten Sozialisationserfahrungen stark von der Betriebskultur unterscheiden. Betriebe können den pädagogischen Bedürfnissen dieser Jugendlichen nur in einem begrenzten Masse Rechnung tragen, denn im Zentrum stehen die Unternehmensziele.
Eine Gefahr für das Gelingen des Übergangs in die Berufswelt stellen diffuse berufliche Vorstellungen dar, die das zielgerichtete Handeln und Aktivwerden erschweren. Auch können eine zu starke Fixierung auf einen einzigen Beruf und mangelnde Flexibilität zur Stolperfalle beim Berufseinstieg werden. Jugendliche, die solchermassen gefährdet sind, tendieren dazu, den Problemen auszuweichen und auf Belastungen emotional zu reagieren. Sie nutzen also eher kontraproduktive regulatorische Strategien, um mit den an sie gerichteten Anforderungen umzugehen. Oftmals kommt eine mangelnde oder nur geringe elterliche Unterstützung hinzu.
Wann gelingt es?
Übergangsprozesse gelingen bei gefährdeten Jugendlichen insbesondere dann, wenn sie während des Übergangs von einer Bezugsperson begleitet werden, die hilft, neue Erfahrungen realistisch einzuordnen und Emotionen problemorientiert zu regulieren; also beispielsweise Kritik als Lernchance statt als Angriff zu sehen. Dann braucht es unmittelbare Erfahrungen von Anerkennung und Wirksamkeit im beruflichen Kontext, die Jugendliche als belohnend und wertschätzend erleben. Wichtig ist zudem, dass Jugendliche auf Berufsbildende treffen, die sie mögen, die präsent sind und die selber über hohe regulatorische, soziale und integrative Fähigkeiten verfügen. Hilfreich ist es auch, wenn Jugendliche freundliche Arbeitskolleginnen und -kollegen haben sowie einen gut organisierten Ausbildungseinstieg erfahren.
Die Berufsbildenden tragen also entscheidend dazu bei, dass Jugendliche den Übergang in die berufliche Grundbildung meistern. Sie sind Vorbild, Vorgesetzte und Begleitung beim Einstieg in die Arbeitswelt. Genauso wichtig ist es aber, dass es Unterstützungsangebote und alternative Wege für jene Jugendliche gibt, die für den Übergang von der Schule in den Beruf besondere Unterstützung benötigen.
Corinne Joho
Dozierende für Erziehungswissenschaften
Pädagogische Hochschule FHNW
Co-Leitung, Berufsbildungsangebot Berufslauf
corinne.joho(at)berufslauf.ch
www.berufslauf.ch