Emotionen
Dezember 2020
Die Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen hält uns gesund – psychisch und physisch. Doch wie können emotionale Kompetenzen gestärkt werden? Und wie lernen wir, über Gefühle zusprechen?
In der aktuellen Ausgabe dreht sich alles rund ums Thema Emotionen.
Zusätzlich präsentieren wir den aktuellen Zürcher Gesundheitsbericht. Der Beitrag stellt Zusammenhänge zwischen dem Lebensstil und der Gesundheit vor.
Gefühle erforschen
Die Weiterbildung Papperla PEP richtet sich an Lehrpersonen aus Kindergärten und Unterstufe. Sie vermittelt didaktisches Know-how, um 4- bis 8-Jährige in der Wahrnehmung ihrer Gefühle und ihres Körpers zu stärken. Die Weiterbildung wird von Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich unterstützt.
Im Interview erzählen Thea Rytz, Leiterin der Weiterbildung Papperla PEP, und Veronica Grandjean, Lehrperson für 4- bis 8-Jährige, wie emotionale und soziale Kompetenzen erlernt werden können und wie Kinder davon profitieren. Frau Rytz, Sie haben die Weiterbildung Papperla PEP vor zehn Jahren entwickelt.
Wieso braucht es diese?
Rytz: Damals gab es viele Projekte im Bereich Ernährung und Bewegung, aber mir war die psychische Gesundheit wichtig. Papperla PEP fördert emotionale und soziale Kompetenzen, stärkt die Resilienz und hilft, eine differenzierte Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Davon profitieren die Kinder tagtäglich – in jeder Interaktion.
Welche Rolle spielt dabei der Körper?
Rytz: Wir verfolgen einen körperorientierten mZugang. Es geht um den ständigen Dialog zwischen Körper und Gefühlen. Wie ist das, wenn ich traurig bin? Wo im Körper merke ich das? Was hilft mir dann? Singen oder tief durchatmen? Mit diesen Fragen holen wir die Kinder bei ihren Erfahrungen ab. Sie merken: Meine Erfahrungen haben einen Wert. Das stärkt auch ihr Selbstwertgefühl. Das gezielte Fragen nach Gefühlen kann immer weiter geübt werden. Denn Gefühle sind immer da. Wir können keinen Schritt machen, ohne etwas zu fühlen.
Was vermittelt Papperla PEP?
Rytz: In erster Linie Neugierde und Offenheit dem eigenen emotionalen Erleben gegenüber. Wir geben den Lehrpersonen eine Haltung mit, die sich bewusst mit Emotionen auseinandersetzt. Dank
dieser lernen sich die Kinder besser kennen. Wie fühlt es sich an, wenn ich Angst habe? Wie, wenn ich glücklich bin? So entwickeln sie einen inneren Kompass, der hilft, durchs Leben zu navigieren,
auch wenn es manchmal stürmt.
Wie sieht das konkret aus?
Grandjean: Wir möchten Lehrpersonen das Vertrauen mitgeben: Auch wenn eine Situation im Kindergarten schwierig ist, negative Gefühle dürfen thematisiert werden. Wenn zum Beispiel ein Kind erzählt, dass der Grossvater gestorben sei, lohnt es sich, dem Raum zu geben und die eigentlichen Pläne über den Haufen zu werfen.
Wie verändert Papperla PEP den Unterricht mit 4- bis 8-Jährigen?
Grandjean: Der Dialog und das Fragestellen sind zentral.
Rytz: Es werden beispielsweise Bilder diskutiert, die nicht eindeutig sind. Die Kinder realisieren dadurch, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und keine falsch oder richtig ist. Oder wir machen die Übung «innerer Wetterbericht». Alle Kinder erzählen, welches Wetter in ihnen gerade ist, ob es tobt oder die Sonne scheint. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Übung wiederholt und die Kinder
merken: Das Wetter ist jetzt anders, denn die Gefühle verändern sich. Es löst im Kind auch etwas anderes aus, wenn ich frage: «Wie gehst du mit deiner Wut um?», als wenn ich ihm vorgebe, wie es damit umgehen soll. Denn das kann entmutigen und dem Kind das Gefühl geben, es muss irgendwo hineinpassen. Wenn wir ihm mehr zumuten, sucht es selber einen Weg. Dies stärkt auch die Selbstkompetenz und ermutigt, Verschiedenes auszuprobieren.
Stellen Sie bei den Kindern Veränderungen fest?
Grandjean: Unsere Haltung hat auch viel mit Interesse zu tun. Die Kinder müssen Worte und Gefühlsadjektive finden, um sich auszudrücken. Sie lernen, dass mit einem bestimmten Gefühl ganz unterschiedlich umgegangen werden kann.
Rytz: Die Körperwahrnehmung wird verbessert: Wir brauchen unseren Körper nicht nur im Sport oder in der Bewegung, sondern auch, wenn wir atmen oder nichts tun. Emotionen haben immer
ein körperliches Echo.
Grandjean: Sehr schön ist auch zu sehen, wie sich die Kinder in meiner gemischten Klasse gegenseitig unterstützen. Als ein jüngeres Kind weinte, wurde es von einem älteren Kind getröstet: «Als ich kleiner war, war ich auch schnell traurig, aber das geht wieder weg, und wenn du älter bist, wird das anders.» So lernen sie zu relativieren.
Gibt es auch einen gesundheitlichen Effekt?
Rytz: Eine qualitative Umfrage unter 45 Lehrpersonen hat gezeigt: Kinder nehmen Emotionen besser wahr und können sie besser regulieren. Auch wird das Klassenklima friedlicher.
Grandjean: Diese sozialen und emotionalenKompetenzen sind lebenswichtig. Wenn sie das früh kennenlernen, ist es ein langanhaltender Gewinn. Sie entwickeln ein Interesse am Zuhören und können ichbezogen reden: «Für mich ist das so, aber für andere ist es anders.» So lernen sie auch, dass es okay ist, anders zu fühlen.
Rytz: Das sogenannte Vermeidungsverhalten spielt bei vielen psychischen Krankheiten eine Rolle. Indem die Kinder lernen, auch über Schwieriges zu reden und damit umzugehen, eignen sie sich ein Annäherungsverhalten an. Sie setzen sich auch mit belastenden Gefühlen auseinander und gehen diesen weniger aus dem Weg. Sie haben den Mut zu stolpern, und das hilft für den Rest des Lebens. Für die psychische Gesundheit ist das wertvoll.
Was nehmen die Kinder sonst noch mit?
Rytz: Sie können sich konstruktiv ablenken, auch wenn etwas unangenehm ist und im Moment nicht gelöst werden kann. Sie merken, dass es trotzdem weitergeht. Und sie erfahren, dass Wut und Traurigkeit normal sind und bei allen vorkommen.
Grandjean: Auch lernen sie, Hilfe zu holen. Wie wirkt sich das auf die weitere Entwicklung der Kinder aus?
Rytz: Emotionsregulierung ist eine Voraussetzung fürs Lernen. Ohne wird’s schwierig. Denn wie kann ich lernen, wenn ich mich nicht konzentrieren kann, weil ich gerade frustriert bin? Studien zeigen, dass Kinder, die emotional kompetenter sind, schulisch erfolgreicher sind. Auch geben emotionale und soziale Kompetenzen ein gutes Lebensgefühl.
Papperla PEP im Kanton Zürich
Soeben ist eine Weiterbildung gestartet. Die nächste Weiterbildung findet im Herbst 2021 statt. Anmeldungen sind ab Sommer 2021 möglich und werden auf unserer Website publiziert. In den letzten drei Jahren haben rund sechzig Lehrpersonen die Weiterbildung an der ZAL im Kanton Zürich besucht. Sie wird von Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich im Rahmen des kantonalen Aktionsprogramms «Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen» unterstützt.